Birkenpech unter paläolithischen Bedingungen

  • Hallo zusammen,


    vorweg möchte ich erwähnen, dass hier nun (meinerseits) keine Anleitung zur Herstellung von Birkenpech erfolgt!


    Hat jemand diese Art der Pechgewinnung bereits ausprobiert oder möchte seine Art vorstellen, dann darf er sich hier gerne austoben! Aus Ermangelung der Möglichkeiten auf unserer 12qm Terrasse und in Anbetracht der Tatsache, dass ein offenes Feuer im Wald weitestgehend ein Tabu darstellen sollte, dürfte die Pechgewinnung für mich derzeit pure Theorie bleiben.


    Nun finden sich im Internet ja unterschiedliche Variationen der Herstellung von Birkenpech. Nicht selten kommt dabei eine Metalldose zum Einsatz, in der die trockene Destillation abläuft. Da @MacGyver in einem ähnlichen Thread durchaus dazu ermunterte, die Herstellung von Birkenpech zu dokumentieren, recherchierte ich im Internet nochmal, wie das denn genau ablief.


    Eher durch Zufall bin ich dabei über eine PDF der Uni Tübingen gestolpert, die sich damit beschäftigt, wie Birkenpech wohl unter paläolithischen (altsteinzeitlichen) Bedingungen hergestellt worden ist.


    Die Entstehung von Birkenpech in einer Feuerstelle


    Mir stellt sich nun die Frage, ob sich hier bereits jemand unter jenen Bedingungen an die Pechgewinnung herangetraut hat und falls ja, wie die Ergebnisse aussahen.


    Kommt in absehbarer Zeit mal wieder unsere Feuerschale zum Einsatz, so werde ich sicherlich versuchen, dort mal etwas Pech herzustellen, um hier dann auch etwas dokumentieren zu können. Da ich aber Rücksicht auf meine direkten Nachbarn nehmen muss, kann ich nicht versprechen, dass ich mögliche Versuche nicht abbrechen muss. Vielleicht hat aber jemand die Möglichkeit und auch das Interesse, Versuche unter genannten Bedingungen zu machen, so dass man sich anschließend hier darüber austauschen kann/könnte.


    Vielleicht mag wer mit seiner Art hier aufschlagen oder sich der Sache einfach mal annehmen. Dem Forum sollte beides dienlich sein. ;)


    Liebe Grüße
    Rudi

  • Oh was für ein witziger Zufall. Ich habe meine Abschlussarbeit an der Uni genau darüber geschrieben. Selbst der Wortlaut ist fast gleich. Also sollte ich gewissermaßen der Experte dafür sein :D
    Ist zwar schon ein paar Jahre her aber ich denk, das meiste weiß ich noch.


    -Birkenpech ist zweifelfrei seit dem Neanderthaler nachgewiesen (Inden Altdorf)


    -Birkenpech tritt dann auch vermehrt bis ins Mesolithikum an vielen Fundplätzen in ganz Europa auf.


    -Die paläolithischen Kulturen waren durchweg akeramisch. Demnach musste Birkenpech auf andere Arten und Weisen entstanden sein.


    -Diese Methode musste so leicht herzustellen sein dass sie bereits von Neandertalern am LAgerfeuer bewerkstelligt werden konnte.


    -Aus anderne Funden geht hervor dass Birkenpech vermutlich sehr viel häufiger verwendet wurde als man annimmt und nahezu alle Rückenmesser, Keilmesser sowie alle Projektile mittels Birkenpech in die Handhabe und den Schaft geklebt wurden


    -Birkenpech entsteht in einem kleinen Temperaturfenster zwischen 300-400 °C und nur unter Luftabschluss. Treten die Gase aus und treffen auf Luftsauerstoff so entzünden sie sich sofort und verbrennen das gesamte Pech.


    -Das Pech stellt den Übergang zwischen dem reinen Teer und der Rinde dar. Eine teilunvollständige Umwandlung wo Rindenreste in die Matrix eingebettet sind, ist sogar vorzuziehen, da es das Material sehr viel flexibler macht.


    -Meine eigenen Versuche fanden auf verschiedene Art und Weise statt. Am erfolgsversprechendsten ist es mit einem Lehmmantel zu arbeiten. Meine Ergebnisse waren jedoch zu unterschiedlich und es waren stets viel zu kleine Mengen. So würden sich nicht die großen Mengen die im Paläolithikum genutzt wurden, erklären lassen.
    Es muss also eine noch einfacher oder effizientere Methode geben oder meine Ansätze müssen nochj verfeinert werden.


    edit: Ich kann meine Arbeit hier auch reinsetzen falls es wen interessiert. Ist zwar viel Theorie dabei aber im letzten Teil gehe ich auch auf die praktischen Aspekte ein.

  • Es muss also eine noch einfacher oder effizientere Methode geben oder meine Ansätze müssen nochj verfeinert werden.

    Das macht mich gerade arg neugierig. Welche Möglichkeiten könnten genutzt worden sein?


    Den Ansatz mit der Schädelschale fand ich schon sehr interessant, zumal ich mir in Verbindung damit auch überlegt habe, wie beispielsweise Höhlenmalereien entstanden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Farben in der Hand angerührt wurden, um anschließend damit Tiere oder Jagdszenen an die Höhlenwände zu malen. Entsprechend frage ich mich, welche Gefäße nutzten sie, um daraus schöpfen zu können?


    Bezüglich deiner Lehm-Experimente kam mir der Gedanke, dass man doch eine ausreichend große Schale aus Lehm machen könnte, dort Birkenrinde (etc.) hineinlegt und das Ganze anschließend mit einer Art Deckel versieht. Das Behältnis könnte man dann ja in die Glut legen, zusätzlich mit Glut, Asche und brennendem Holz bedecken und quasi fertig "backen". Theoretisch könnte ich mir vorstellen, dass es funktioniert, zumal der Luftabschluss gewährleistet sein sollte. Vielleicht ließe sich per Klopfmethode abschätzen, wann der Zeitpunkt erreicht ist, um das Gefäß aus der Glut zu holen.


    Aber interessant, dass offensichtlich noch nicht erwiesen ist, wie größere Mengen Birkenpech zu jener Zeit gewonnen wurden. Hast du denn bei deinen Erkundungen in der Wüste Erfahrungen sammeln können, wie und woraus "Pech" ähnliche Substanzen gewonnen wurden, vorausgesetzt, dass sie dort bekannt sind und verwendet werden?


    PS: Wird, glaube ich, wirklich mal Zeit, dass wir beide uns treffen. ;)

  • Also @08/15, ich denke auch ihr MÜSST. euch treffen und uns teilhaben lassen , ich bin sehr interessiert , was ihr schafft ! Mich interressiert das sehr - ihr macht es aber auch sehr spannend - ich möchte das gern nachmachen, wenn es bei euch zu einem reproduzierbaren Ergebnis kommt --- wenn nicht , ist das auch egal--- euer Einsatz ist schon Erfolg genug .und lässt sich gut verfolgen - Danke dafür, das ist sehr kurzweilig , meine das nur :) positiv


    Das Leben ist ein Spiegel: wenn du hineinlächelst, lächelt es zurück
    George B. Shaw

  • @Desertstorm


    "Retorte im Neolithikum" ... Wo man dich überall findet. ;)


    Aber sehr aufschlussreiche Beiträge! :thumbup:


    Nur gibt es kaum Hinweise oder Erkenntnisse, wie bereits vor knapp 220.000 Jahren Birkenpech hergestellt wurde. Ich habe aber noch nicht alle Seiten durchgelesen.


    @Peter von Hausen


    Mach mal mit hier! ;) :D

  • Ich finde das auch wahnsinnig interessant, da mich Birkenpech aus verschiedensten Gründen interessiert (z.B. Garne für Schuhwerk, aber mehr noch Spitzen und Befiederung an Pfeile ankleben)...
    ...aber mal `ne Frage eines steinzeitmäßig recht Unbewanderten:
    Heißt eine der Hauptfragestellungen "Worin haben die das aufgefangen, wenn es noch keine Keramik gab?", oder "Womit haben die das abgedeckt/wurde das in einem wie auch immer gearteten Gefäß gemacht um den Luftabschluss zu gewährleisten (wenn es noch keine Keramik gab)?"
    Sry, so ganz konnte ich das jetzt euren Ausführungen nicht entnehmen.


    VG
    Bolt

    Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.
    Antoine de Saint-Exupéry

  • Es muss gar nix aufgefangen werden, da kein flüssiges Teer hergestellt wird, sondern die Vorform davon, das Zähviskose Pech. Die Birkenrinde wird dabei verschwelt und verklebt mit sich selbst.


    Gut zu sehen im Link von J.Cornelius, welcher mich übrigens beindruckt hat. Ich habe sehr ähnliche Versuche gemacht doch nur kleinste Mengen gewinnen können. Vermutlich war die Temperatur bei mir zu hoch.



    @08/15
    Bezüglich der Wüstenfrage. Im nahen Osten wurde natürlich vorkommendes Bitumen genutzt. Was sich durchaus auch als Kleber nutzen lassen könnte wäre das Harz von Akazien speziell Acacia Nilotica.


    Mir ist aber nicht bekannt ob es auch genutzt wurde. Ich hab dazu zu wenig gelesen. Auch weiß ich noch nichts von anderen PFlanzen der Region welche evtl. Klebstoffe abgeben würde. Das wäre ein interessantes Ethno/Archäologisches Forschungsgebiet.

  • Wenn das Pech mit der verkokelten
    Rinde verklebt , muß man dann das ganze noch zerreiben oder mörsern, um da etwaige Stückchen rauszubekommen?
    Ich meine , ist das Pech so zu verarbeiten?


    Gruß

    Das ist sogar gut für die adhesiven Eigenschaften, da es wie eine Art Armierung wirkt und das Pech stabiler macht.

  • Keine Ahnung, wie viele Seiten ich jetzt zum Thema gewälzt habe, aber es waren gestern und heute einige.


    Schon witzig, dass uns eine doch eher primitive Kultur wie der Neandertaler in der Herstellung von Birkenpech derart überlegen war. Kein Wissenschaftler kann mit absoluter Sicherheit sagen, wie der Neandertaler vorgegangen ist. Es gibt zwar zahlreiche Versuche, wie Birkenpech hergestellt worden sein könnte...

    • stramm zusammen gerollte Rindenbündel, die unter die Glut gelegt wurden
    • Birkenrinde, die in Lehm eingebettet wurde
    • ...

    aber die Ergebnisse lassen nicht darauf schließen, dass es so wirklich gemacht wurde. Nachgewiesen ist jedoch, dass Birkenpech reichlich genutzt wurde und entsprechend gezielt hergestellt worden sein muss. Nur wie?


    Mal angenommen die Neandertaler wären vorgegangen, wie es in JCs Link dargestellt wird, wären sie eigentlich dann nicht intelligent genug gewesen und hätten diesen "Ofen" dann regelmäßig genutzt? Wurde dahingehend mal was in Höhlen gefunden? Verziegelter Lehm wurde m.W. in Verbindung mit Kohle und Knochenresten an Feuerstellen von Neandertalern gefunden. Es scheint sich dabei aber doch eher um einen Zufall zu handeln, als dass man von Absicht ausgeht.


    Wie warm muss Birkenpech eigentlich gemacht werden, um ordentlich verarbeitet werden zu können?


    Man liest zwar immer wieder, dass es erhitzt werden muss, aber ich habe bis jetzt nirgendwo in Erfahrung bringen können, auf wie viel Grad man es erwärmen soll. Neandertaler scheinen ja auch auf kleinen Kügelchen gekaut zu haben, zumindest scheinen einige Funde darauf hinzudeuten. Ich denke aber mal weniger, dass eine Temperatur von vielleicht 37-38°C ausreicht, oder? Haben sie Birkenpech also gezielt für Waffen (o.d.) hergestellt und die verbliebenen Kügelchen gekaut, oder haben sie sich Vorräte angeschafft, auf die sie bei Bedarf zurückgreifen konnten? Ich kann mich aber nicht erinnern, dass ich die letzten beiden Tage etwas darüber gelesen hätte. Generell scheinen sich Birkenpech-Funde ansonsten in Grenzen zu halten. Schon komisch, irgendwie...

  • Man liest zwar immer wieder, dass es erhitzt werden muss, aber ich habe bis jetzt nirgendwo in Erfahrung bringen können, auf wie viel Grad man es erwärmen soll.

    Da scheinen sich die Experten selbst nicht ganz sicher zu sein - in der einen Quelle heißt es 220-280°C, in der anderen 300-400°C... :/

  • Du kannst davon ausgehen dass sie im Lager auf einmal große Mengen hergestellt hatten und dann auf Lager hielten, für Gebrauch z.B. in den entfernt liegenden Jagdlagern oder wenn die ganze Gruppe wieder wanderte.
    Je viskoser die Masse ist, desto weniger Hitze brauchst du. Für so nen guten Klumpen Birkenpech brauchst du aber schon 40°C um den richtig plastisch zu machen.



    Das kauen kann mehrere Gründe gehabt haben.


    -Birkenpech wird auch weicher durch Bewegung, also wäre die Wärme der Mundhöhle kombiniert mit der Mahlbewegung ein gutes Mittel um das Birkenpech plastischer zu machen
    -zweitens um die Masse zu homogenisieren. Wie ich bereits sagte, sind die kleinen unverschwelten Rindenstückchen für die Konsistenz zuträglich, aber halt nicht homogen verteilt, dafür dann das kauen.
    -drittens kann das Birkenpech auch als Zahnpflege und oder Genussmittel gekaut worden sein. An einem mesolithischen Skelett wurden in einer Zahnhöhle Birkenpechreste gefunden. Es kann gut sein, dass es sich hierbei um die erste medizinische Zahnfüllung handelt.


    Sehr wahrscheinlich treffen aber alle Gründe zu.

  • Also quasi ein natürlicher Thermoplast. Könnte man dann ja ansatzweise mit Knetgummi vergleichen. Hätte nicht damit gerechnet, dass etwa 40° schon ausreichen. Schau ich mir aber folgendes Bild an, scheint die Masse nicht flüssig sondern relativ hochviskos aufgetragen worden zu sein. Könnte u.U. aber auch vom Gebrauch (z.B. Pfeilfedern) abhängig sein.


    Steinzeit-Wissen - Urzeitdolch


    Ich glaube so einen Dolch werde ich mir als Projekt vornehmen. Ist zwar sehr hochgegriffen, aber das dürfte aus unterschiedlichen Aspekten sehr interessant werden. Wenn ich meiner Frau die Feuerschale mit Birkenschmand versaue, ist sicherlich die Hölle los. :whistling: