Da etliche Foristi und Angehörige wassersportlich aktiv sind, wurde der Wunsch nach einem Artikel zum Ertrinkungsunfall geäussert.
Der Ertrinkungsunfall ist eine sehr komplexe Angelegenheit (Hypothermie, Azidose, Aspiration, BZ-Entgleisung, Rhythmusstörungen, Lungen- oder Hirnödem......). Ich werde die Abhandlung so einfach wie möglich gestalten. Keinerlei Beachtung schenke ich der Unterscheidung Süss/Salzwasser sowie trockenes/nasses Ertrinken. Beides ist für die Erste Hilfe irrelevant. Auch der Tauchunfall / das Barotrauma soll hier nicht Thema sein. Die Unterscheidung Ertrinken / Beinahe-Ertrinken spielt hier ebenfalls keine Rolle.
Grundsätzlich sehen wir uns mit möglicherweise vier Problemkomplexen konfrontiert:
- Selbstgefährdung
- Unterkühlung
- Herz/Kreislaufprobleme
- Begleitverletzungen
Selbstgefährdung
Bei der Rettung ist auf maximale Eigensicherung zu achten. Dies gilt vor allem bei Einbrüchen ins Eis bzw. bei kaltem Wasser und entsprechender Strömung bzw. Wellengang. Kein Helfer muss sich unnötig in Gefahr bringen.
Ob beispielsweise Leitern, Schwimmhilfen oder eine Schnursicherung durch Drittpersonen nötig ist, muss vor Ort entschieden werden. Zu beachten ist auch, dass sich Ertrinkende panisch an allem festklammern, was greifbar ist und so den Helfer in Bedrängnis bringen können. Daher solle sich ihnen möglichst immer von hinten angenähert werden.
Dennoch sollte die Rettung so schnell als möglich erfolgen.
Unterkühlung
Da Wasser ein sehr guter Wärmeleiter ist, kühlt die verunfallte Person rasch aus. Wie rasch, ist u. a. abhängig von der Isolation, der Wassertemperatur, der Menge an verschlucktem und aspiriertem Kaltwasser sowie dem Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpergewicht. Letzteres erklärt, weshalb Kinder schneller auskühlen als Erwachsene.
Kältezittern ist bis zu ca. 32°C (=Stadium 1) zu beobachten und gilt als positives Zeichen.
Der Verunfallte muss vor weiterem Auskühlen geschützt werden. Hierzu ist die nasse Kleidung zu entfernen, ohne ihn unnötig zu bewegen ---> Kleidung aufschneiden, nicht ausziehen, an möglichst warme und windgeschützte Stelle bringen und Rettungsfolie anwenden. Bei klarer Bewusstseinslage (und nur dann) kann warme Flüssigkeit angeboten werden). Eine Wärmflasche auf die Brust zu legen empfiehlt sich).
Unter 32°C Körpertemperatur (Stadium 2 oder 3) ist stets mit Bewusstseinstrübung bzw. Bewusstlosigkeit zu rechnen.
Herz/Kreislaufprobleme
Ab einer bestimmten Auskühlung kommt es zwangsläufig zum Herz/Kreislaufstillstand. Es wird der Unterkühlung ein cerebral protektiver Schutz zugesprochen. Daher der Spruch "niemand ist tot, solange er nicht warm und tot ist". Bei festgestelltem Herz/Kreislaufstillstand ist unverzüglich mit der Herz/Lungen-Wiederbelebung zu beginnen, wobei es bei Unterkühlten schwierig sein kann, selbst den Carotispuls zu tasten. Die Wiederbelebungsmassnahmen können durchaus auch nach längerer Zeit noch erfolgreich sein.
Begleitverletzungen
Vor allem bei Kopfsprüngen in zu flaches Wasser ist mit Verletzungen vor allem der oberen Halswirbelsäule zu rechnen. Besteht der Verdacht auf eine solche Verletzung, ist unbedingt auf die Stabilisierung der HWS zu achten. Schmerzen in der HWS oder sogar Gefühlsstörungen an Armen und/oder Beinen bzw. die Unmöglichkeit, diese zu bewegen erhärten den Verdacht.
Allgemeines und Zusammenfassung
- Rettung so schnell wie möglich unter Beachtung der Eigensicherung
- Keinerlei Manipulationen beim Versuch, aspirierte oder verschluckte Flüssigkeiten aus dem Körper zu bekommen.
- Unverzügliche Aufnahme der Herz/Lungen-Wiederbelebung bei Herz/Kreislaufstillstand
- Flachlagerung des Verunfallten und, um den berüchtigten Afterload zu vermeiden, den Verunfallten möglichst sparsam und nur passiv bewegen. Mit Afterload ist das Einströmen kalten Blutes aus der Peripherie in den höchstwahrscheinlich zentralisierten Kreislauf gemeint, was die allgemeinen Probleme verschärft.
- Bei Bewusstlosigkeit und erhaltener Atmung stabile Seitenlage
- Permanente Überwachung der Vitalparameter
- Stabilisierung der Halswirbelsäule bei entsprechendem Verdacht
→ Und selbstverständlich unverzüglich Notruf absetzen.
Es konnte beispielsweise nachgewiesen werden, dass 30 % der primär asymptomatischen Kinder innerhalb 8 Stunden doch noch Symptome aufwiesen. Daher halte ich die Alarmierung des Rettungsdienstes auch bei scheinbar "harmlosen" Unfällen für indiziert.