Frage: Verhalten und Vorsorge bei Vergiftung

  • N'abend zusammen,


    grundlegend machen wir uns ja immer wieder Gedanken darum, wie unser EH-Set bestenfalls ausgerüstet ist, welche Dinge fast schon zwingend erforderlich sind und welche Medikamente man u.U. mitführen kann/sollte. Vorbereitet sind wir meist auf Schmerzen leichter, mittlerer bis starker Natur, Durchfall, Schnitzverletzungen, Desinfektion und ggfs. einen Bruch.


    Wie schaut es aber im Falle einer Vergiftung aus?


    Pflanzliche Notnahrung lässt sich verwechseln, schnell sind in der Dämmerung die falschen Beeren gepflückt worden oder man hat es mit einer Pflanze, die in Maßen genießbar ist, einfach nur übertrieben. Ebenso kann man sich eine Fischvergiftung zugezogen haben. Letztendlich kämpft man mit Fieber, Krämpfen, Übelkeit und an ein Flüchten aus der Natur ist erst mal nicht zu denken.



    Sind Kohle-Tabletten für eine Erstbehandlung ausreichend?


    Wie viele sollte man dabei haben, um einer Vergiftung entgegenzuwirken?


    Gibt es eine Höchstdosierung, die ohne Rücksprache mit einem Arzt nicht überschritten werden darf?


    Welche Medikamente könnte man alternativ mitnehmen?



    Meines Wissens enthält eine herkömmliche Kohle-Tablette (z.B. St. Andreas) 250mg medizinische Kohle. Abhängig von der aufgenommenen Giftmenge wird bereits Kindern bis 12 Jahren eine Anfangsdosis von 10-30g verabreicht - Rechnung: 1 Gramm Kohle pro Kilogramm Körpergewicht / Quelle: Erste Hilfe für Kinder. Man mag sich selber ausrechnen, wie viele Tabletten man schlucken müsste.


    Andererseits stolperte ich darüber, dass eine Überdosierung zu Verstopfung führen kann, obwohl keine Überdosierungserscheinungen bekannt sind - siehe: Fliegende Pille.



    Macht es somit wirklich Sinn, sich für den Fall einer möglichen Vergiftung mit Kohle-Tabletten einzudecken?


    Welche anderen Möglichkeiten gäbe es, wie sollte man generell vorgehen und was sollte man u.U. tunlichst vermeiden?



    Auf einen regen Austausch.
    Rudi

  • Hallo Rudi,
    1g/kgKG hat selten jemand dabei. Für Erstversorgung hilft aber jedes Gramm Kohle.


    Generell:
    1 Pflanzenmaterial und Erbrochenes zur Nachbestimmung sammeln.
    2 Rettung aktivieren.
    3 Keine Medikamente, keine Milch, kein Salzwasser, kein Erbrechen auslösen - Aspirationsgefahr.


    Auf Reisen und außerhalb der Rettungskette:
    1 Erbrechen auslösen - nur wenn kontrolliert möglich.
    2 Möglichst viel Wasser nachtrinken und wieder erbrechen.
    3 goto: 1;
    4 Wenn kein Material mehr rauskommt Holzkohle klein machen und aufschlämmen +- 1g/kgKG Trinken
    5 Bei Bewusstlosigkeit Seitenlage und Vitalfunktionen sicherstellen.
    6 Mineralienhaushalt ausgleichen.


    Als Laie Finger weg von Furosemid und anderen Diurethika.


    Ernsthafte Vergiftungen (ohne Selbstschädigungshintergrund) sind verhältnismäßig selten.

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    leicht sarkastisch im Unterton, dabei völlig spaßbefreit
    Ich liebe Fachfragen, Smalltalk nur f2f ;)

  • @Wulfner: Vorgabe der GNZ ist nicht ohne Grund "Kein Erbrechen auslösen!" Sondern Flüssigkeitsgabe. Ich stehe intensiv mit Ärzten mehrerer GNZ in Kontakt und hier ist die Vorgabe bei Möglichkeit der Notrufablage klar.
    Schäden durch Aspiration sind erheblich problematischer als Schäden der Vergiftung bei stationärer medizinischer Behandlung.
    Außerdem geht im Zweifel eher Probenmaterial verloren.



    Vorgabe der Charite:
    1. RUHE bewahren ! 2. Tee, Wasser oder Saft zu trinken geben. KEINE Milch !! KEIN Erbrechen auslösen !!. KEIN Salzwasser !! 3. Regionalen Giftnotruf.


    Alles andere macht bei möglicher Abgabe des Notrufs keinen Sinn.


    Anders sieht es auf Reisen aus. Hier kann allerdings nicht völlig pauschalisiert werden. Wenn die Pflanzengruppe hepatoxische oder zytotoxische Gifte enthält - die oben beschriebene "Magenspülung".

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  • je nach Gift, kann das Erbrechen sogar die Giftaufnahme verstärken. Es gibt Gifte die über die Schleimhäute, nicht aber über den Magen-Darmtrakt aufgenommen werden. Lasse ich den Patienten nun erbrechen, hat das Gift wenn auch nur kurz, noch mal die Möglichkeit in den Kreislauf zu gelangen. Ganz schlimm z.B. wenn Eltern ihre Kinder erbrechen lassen, weil diese Toilettenreiniger oder sonstige ätzenden Chemikalien getrunken haben. Im Magen, haben Sie da dieser so oder so Säure enthält kaum noch Wirkung, werden wenn Sie basisch sind sogar teilweise neutralisiert. Lasse ich aber nun das Kind erbrechen, werden die Speiseröhre der Mund und Rachenraum aber erneut verätzt.


    Das beste viel aber langsam (Wasser) trinken lassen. Im normalen Umfeld direkt die Rettung informieren.
    Außerhalb der Erreichbarkeit des Rettungsdienst, zusätzlich so viel Kohle als möglich, am besten in Wasser gelöst zuführen.
    Bei bewusstlosen Patienten, Stabile Seitenlage, Vitalfunktionen überprüfen erhalten und versuchen den Patienten so schnell als möglich einem Arzt zu zuführen.

  • Die Kinder kann man eigentlich getrost außen vor lassen. Dabei handelte es sich nur um ein rechnerisches Beispiel, um aufzuzeigen, von welchen Mengen (Kohle-Tabletten) man eigentlich spricht. Viele haben welche dabei, aber nicht in den Maßen, wie sie für eine Vergiftung erforderlich wären. Um Durchfall in den Griff zu bekommen, ok, aber nicht, um einer Vergiftung wirksam entgegenzuwirken.


    Viele von uns sind weiterhin alleine unterwegs und teils in Gegenden, wo man eben keinen Empfang am Handy/Smartphone hat. Speziell eine solche Situation hat mich interessiert, da man auf sich alleine gestellt ist und in erster Instanz vielleicht keine Hilfe holen bzw. den Rückweg antreten kann. Entsprechend interessieren mich eben Sofort-Hilfe-Maßnahmen, die man alleine bewerkstelligen kann in Verbindung mit möglichen Medikationen, über die man zumindest einmal nachgedacht haben sollte.


    Über viele Szenarien macht man sich Gedanken und ist entsprechend gerüstet. Hingegen eine Vergiftung, die zwar eher unwahrscheinlich, aber denkbar nicht unmöglich ist, steht meist weniger im Vordergrund.

  • Ausser dem von @Joe beschriebenen fällt mir nichts sinnvolles ein.


    Die Dosis von 50 bis 100 Gramm = 200 bis 400 Kohlekompretten ist die Initialdosis. Sinnvollerweise erfolgt die repetitive Gabe von 25 bis 50 Gramm alle 2 bis 4 Stunden. Das müsste man erst mal dabei haben und dann auch noch runter kriegen.


    Im klinischen Alltag wird der "Schleim" per Magensonde verabreicht, in der Regel nach einer Magenspülung.


    In der Regel erfolgt die Behandlung nach Rücksprache mit der Vergiftungszentrale, wobei nicht immer ein spezifisches Antidot zur Verfügung steht.


    Wir müssen uns des Risikos bewusst sein, dass outdoors bei vielen medizinischen Notfällen keine Selbst- oder Kameradenhilfe möglich ist.

  • Hallo, im Zusammenhang habe ich die Erlaubnis auszugsweise zu zitieren.
    Die Anleitung habe ich zusammen mit Ärzten der Unikliniken Freiburg und Berlin erstellt:



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    2 Mal editiert, zuletzt von Joe ()

  • @Joe


    Ich gehe mal davon aus, dass der Auszug aus einem deiner Bücher ist. Frage: Welches?


    Ich denke, dass es nicht schaden kann, den Rest auch mal durch zu ackern. Das sind (für mich) Dinge, die eher zu selten angesprochen werden, aber man kann ja nicht ausschließen, dass es eben nie passiert. Gerne auch per PN/PM.


    Gruß Rudi

  • Ich muss @Joe in allen Punkten Recht geben. NUR wenn erste ärztliche Hilfe nicht in naher Zeit absehbar ist, Erbrechen auslösen. Am Besten in stabiler Seitenlage. Ansonsten Verdünnung herbeiführen.
    Bei Anwendung von Kohle gibt es keine Maximaldosis!
    Die Anmerkung der Asservation von Erbrochenem, Regurgitat oder der vergiftenden Substanz sind sehr wichtig.


    NOCH EINS: vergiften können euch auch giftige Tiere. Hatte selber mal einen Pat., der im Ausland von einer Schlange gebissen wurde. Wir konnten ihn UND sein Bein durch das richtige Antidot behandeln, da sein Vater geistesgegenwärtig ein Foto von dem Tier machte. ALSO: gerne auch an fotografieren denken. Ein Smartphone ist ja heute fast allgegenwärtig.

    Gruß vom Teuto,
    Doc




    "Der Mensch stammt vom Ausländer ab"
    (Dr.Dive)



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