Waschbärausbreitung trotz Inzuchtdeprivation

  • Deutschlands Waschbärpopulation hat sich seit dem Aussetzen der zwei ursprünglichen Paare konstant vergrössert. Heute sollen geschätzt hundertausende hier beheimatet sein.


    Populationsgenetisch müssten aber, um das Überleben einer Art und um den genetischen Flaschenhals zu vermeiden, sehr viel mehr Gründerindividuen vorhanden sein. Meines Wissens nach sollte der Bestand , um eine gesunde Population zu erhalten, kurzfristig nicht unter 50 und längerfristig 500 Individuen absinken - die 50/500-Regel.


    Kann jemand diesen Widerspruch auflösen?

  • Kann ich dir nicht beantworten....
    Ich kann mich aber daran erinnern das ich mal eine Kuh mit Samen ihres Ur-Ur-Ur-Grossvaters besamt habe. Mit der Mutter des Stiers gab es auch noch ein Verwandtschaftsverhältnis. Bei der Tierzucht ist Inzucht oftmals gewünscht um ein bestimmtes Merkmal herauszuarbeiten. Die genauen Daten habe ich leider nicht hier, ich erinnere mich auch nicht an den Namen des Stiers.... der war recht berühmt.
    Waren das wirklich nur 2 Paare? Ist das genetisch bewiesen?


    Gruss

  • Bei Rassekaninchen ist auch Inzucht erwünscht,weiß leider nicht die Reihenfolge. Ich meine aber Vater mit Töchtern geht und Bruder/Schwester sollte vermieden werden.Muss mich da nochmal schlau machen ist schon wieder alles zu lange her.

  • Populationsgenetisch müssten aber, um das Überleben einer Art und um den genetischen Flaschenhals zu vermeiden, sehr viel mehr Gründerindividuen vorhanden sein.


    Kann jemand diesen Widerspruch auflösen?

    Ähm, bei den Menschen ist das doch aber ähnlich. Heute sind es ein paar Milliarden, aber am Anfang waren es nur zwei. Erstaunlich: sogar deren Namen sind nach so langer Zeit noch bekannt. Adam und Eva.
    Hab ich in einem Buch gelesen. Das heißt, glaube ich, Bibel. Die ISBN habe ich jetzt nicht da; einfach mal googeln! ;)

    • Offizieller Beitrag

    Die genetischen Kenntnisse in Kaninchenzüchterkreisen sind nicht in jedem Fall sonderlich fundiert. Und nicht nur dort. Früher (heute weiß ich nicht) wurden auch Hunde von der Zucht ausgeschlossen, die irgendwann in ihrem frühen Leben mal "fremdgevögelt" hatten und somit Mischlinge geworfen hatten. Diese Hündinnen galten dann als zuchtuntauglich, was natürlich sachlich gesehen Unsinn ist.
    Es scheint, dass manche Tierarten ein robustes und genetisch wenig anfälliges Genom haben. Wenn nur wenige Anlagen für Erbkrankheiten im Ursprungsgenpool vorhanden sind, dann spielt Inzucht über längere Zeit kaum eine Rolle. Da die meisten Erbkrankheiten rezessiv vererbt werden, sollte man möglichst nicht zwei belastete Partner miteinander kreuzen, da dann kein gesundes und dominantes Erbgut das rezessive Erbgut "überstimmt". S. Mendelsche Gesetze.
    Ich bin mir bezüglich der Waschbärpopulation sicher, dass hin und wieder auch die allzu niedlichen tierischen Mitbringsel von Fernreisen in deutschen Wäldern entsorgt wurden und jetzt kräftig mitmischen.

  • Nachweislich wurde im WK II ein Waschbärgehege in Brandenbrug zerstört. Wer weiß wie viele Pelztierfarmen im Krieg noch ihre Zäune geöffnet haben.

    "Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung." Wilhelm II.

  • Nachweislich wurde im WK II ein Waschbärgehege in Brandenbrug zerstört. Wer weiß wie viele Pelztierfarmen im Krieg noch ihre Zäune geöffnet haben.

    Richtig, das war aber etliche Jahre (~10) später als das Aussetzen der beiden Ursprungspaare.

  • Kann ich dir nicht beantworten....
    Ich kann mich aber daran erinnern das ich mal eine Kuh mit Samen ihres Ur-Ur-Ur-Grossvaters besamt habe. Mit der Mutter des Stiers gab es auch noch ein Verwandtschaftsverhältnis. Bei der Tierzucht ist Inzucht oftmals gewünscht um ein bestimmtes Merkmal herauszuarbeiten. Die genauen Daten habe ich leider nicht hier, ich erinnere mich auch nicht an den Namen des Stiers.... der war recht berühmt.
    Waren das wirklich nur 2 Paare? Ist das genetisch bewiesen?


    Gruss

    Die Freilassung der beiden Paare ist belegt.

  • Nun,


    die entlassenen Tiere waren wohl keine Zwillinge (eineiige) und auch keine Klone 1:1 Kopie.
    Selbst wenn gibt es immer noch verschiedene Wege nach Mendel wie auch rezessive Merkmale vererbt werden.
    Man muss also von einer gesunden Vielfalt ausgehen.
    Die theoretisch hochinzestuösen Ergebnisse kämen in der Natur auch wohl kaum durch.
    Da die Paarfindung teils mmh...Instinkt-basiert/Geruchssinn-basiert erfolgt, werden genetisch zu ähnliche Individueen auch eher nicht aufeinander anspringen. Irgendwie schiesst mir der Begriff genetische Kompatibilität in den Kopf.


    Whatever - auch beim Menschen gibt es dieses Sich-nicht-riechen-können.
    Kontraceptiva - die Pille - beeinflusst - so gab es mal Meldungen - ebenfalls die Partnerwahl (der Frau).


    Gruss,
    Silas

  • Bei Kassel Richtung Edersee gab es ebenso eine Pelztierfarm, um 1930 wurden welche ausgesetzt.

    Genau diese meine ich. Und auf diesen vier Tieren ??? basiert die gesamte Population. Da die Lebenserwartung in freier Wildbahn max. 3 Jahre beträgt, die Freilassung aus den Farmen aber erst etliche Generationen später erfolgte, fehlen bis zu einer möglichen Durchmischung einige Jahre. Ausserdem ist fraglich, wie klein oder gross der Bestand dann war. Oder wurden aus den Pelztierfarmen hunderte Individuen frei gelassen? Das wäre dann eine mögliche Erklärung.


    @Friese


    Mangelhafte Kenntnisse in Genetik kenne ich vor allem aus der Hundezucht (Koxx-Smiley), wo zwischenzeitlich beispielsweise beim Toller weltweit nur noch eng verwandte Tiere existieren.

  • Hallo allerseits, also da werden insgesamt ein paar Dinge vermengt.
    Egal wie viele WB es waren - es ist natürlich erstmal ein Flaschenhals.
    Jetzt ist Evolution etwas geschickter, als wir Menschen denken und lässt sich auch nur schlecht durch Zuchtwahl nachbilden.
    Flaschenhälse bedeuten nur, dass in der Gesamtpopulation die Anzahl der Allele geringer ist als in Wildformen.
    Dies kann dazu führen, dass
    1. der Anpassung auf widrige Zustände nicht begegnet werden kann
    2. unerwünschte (genauer: in der Wildpopulation unerwünschte) Allele "ausbrechen".
    3. die (2) unerwünschten Allele tatsächlich positiv auf den neuen Lebensraum wirken.
    4. erwünschte (genauer: in der Wildpopulation erwünschte) Allele können verloren gehen.
    5. Die Anzahl der Allele steigt durch Meiosefehler und Rekombination mit jeder Generation wieder an.


    Zu 1: Jede Kaninchenkolonie auf den Nordseeinseln ist eine Flaschenhalspopulation. Sie bricht in Myxomatosejahren wieder völlig zusammen - negative Allele ("Erbkrankheiten" vgl HD bei Schäferhunden aus +- einem Zuchtpaar) sind meines Wissens nicht bekannt.
    zu 2: es können sich kleine, aber unerhebliche Defekte etablieren, die hier in Deutschland nicht relevant sind: Größerer Kopf, kürzere Beine o.ä.
    zu 3: durch die geringere Anzahl der Individuen der Population vorhandenen Allele können sich positive Allele schneller etablieren: Größenvariation, Fraßpräferenzen etc. werden schneller in der Gesamtpopulation übernommen (vielleicht haben sich von allen frei gekommenen Waschbären nur die perfekt angepassten vermehrt (die Hälfte gleich erfroren, ein paar eingefangen, vom Trekker überfahren) - die Vorteile wären in der Wildpopulation wahrscheinlich nicht etabliert worden.
    zu 4: Verlorene Allele müssen in einem neuen Lebensraum keinen negativen Selektionsdruck ausmachen: Die Unfähigkeit "Poisonous Oak" zu schmecken ist in Europa nicht relevant. Es können auch unnötige Allele verloren gehen: Rudimente, Farbsehen o.ä.
    zu 5: Die Population ist angestiegen - mit ihr die Varianz und die Anzahl der Allele - der Flaschenhals ist überstanden. Ggf. gibt es irgendwelche Fehler, die aber wohl nicht ins Gewicht fallen.


    Zum Vergleich: Der Mensch hat vermutlich einen durch Katastrophe entstandenen extremen Flaschenhals überstanden (https://en.wikipedia.org/wiki/Mitochondrial_Eve) - mittlerweile haben wir aber so viele Allele weltweit in über 7 Mrd. Individuen angesammelt, dass dieser Flaschenhals lange irrelevant geworden ist.
    Ohne Flaschenhals oder neuem Selektionsdruck keine neue Artentwicklung.
    Was man bei den Waschbären beobachtet hat ist normale Anpassung aus FS heraus. Er sagt nichts über die Fitness der Tiere aus:


    Vorsicht: Das alles gilt nicht, wenn der Mensch in Selektion durch Zuchtwahl rumpfuscht. Hier wird manuell "gemendelt", nach Form, Farbe und so weiter selektiert. Das hat nichts mit den normalen evolutionären Mechanismen der Selektion durch Fitness zu tun und wirkt sich meist sehr negativ auf die Fitness aus.

    ____________
    leicht sarkastisch im Unterton, dabei völlig spaßbefreit
    Ich liebe Fachfragen, Smalltalk nur f2f ;)

  • @Joe


    Danke für die Erläuterungen.


    Wenn ich das richtig verstanden habe, hätten die Punkte 1 und 2, wenn es "anders" gelaufen wäre, auch zum aussterben führen können?